romy fischer

körper, seele und geist heilend begegnen

Totstellreflex wenn’s ums Überleben geht, oder weshalb sich ein Opfer bei Vergewaltigung nicht wehrt

2. September 2019

Wenn’s ums Überleben geht reagieren wir biologisch, nicht logisch. Unser Zentralnevensystem reguliert uns autonom. Wird Kampf oder Flucht verunmöglicht, bleibt uns noch die Immobilisierungsreaktion = Totstellreaktion. Dieser Totstellreflex sollte das Überleben sichern. Leider wird genau diese, nicht selbstgewählte «Untätigkeit» dem Opfer zum Verhängnis, wenn es darum geht einen Vergewaltiger erfolgreich vor Gericht zu bringen. Denn, so das Credo, wer sich nicht wehrt, wird nicht vergewaltigt. Soll heissen, wer Vergewaltigung über sich ergehen lässt, wird nicht vergewaltigt.

Was geschieht bei Überwältigung, wenn Angriff oder Flucht nicht gelingen? Es wird der dorsal-parasympathische Zweig des Vagusnerves aktiviert, welcher gleichzeitig das primitivste und älteste System unseres Nervensystems darstellt. Aktiviert wird dieser Zweig u. a. durch Hypoxie (also Sauerstoffmangel in den Körpergeweben), die Wahrnehmung zu sterben oder intensivem und permanentem Stress. Es kommt zu einem Absinken der Erregung in die Hypo-Arousal-Zone, dabei zum Absenken der Herz- und Atemfrequenz, zur Muskelentspannung sowie zu Gefühlen von Taubheit und Distanz (Dissoziation). Im Weiteren scheint unsere Stimme wie erstickt zu sein, so dass wir nicht in der Lage sind, zu schreien. Die Überlebenssicherungsstrategie ist die Immobilisation, also das Erstarren bzw. Totstellen. Durch die Einschränkung vieler Körperfunktionen soll Energie erhalten bleiben.

Quelle: Ramona Fischer, nach Steven Porges

Kurz gesagt, nichts geht mehr bis der Angriff vorüber ist. Dann ist aber nichts vorbei, im Gegenteil. Wir Menschen haben die natürlichen Resetfunktionen verloren, im Gegensatz zu den Säugetieren, welche nach einem Angriff zwei bis drei Minuten später wieder auf den Beinen sind. Bei uns etabliert sich das Trauma in unserem Körper denn wir reagieren in Krisensituationen primär biologisch. Leider herrscht immer noch die Meinung, dass vegetative Funktionen über Gespräche und Verstehen gelöst werden können. Die geniale Alternative dazu ist Somatic Experiencing. Somatic Experiencing setzt genau dort an wo Worte aufhören. Somatic experiencing gibt dem Körper die Möglichkeit gehaltene Energie wieder zu entladen, Dies ist auch der Fall wenn keine Erinnerung an das Geschehene mehr vorhanden ist.
Würde dieses Wissen über die Immobilitätsreaktion in unserer Gesellschaft weiter verbreitet sein, käme niemand auf die Idee, sich schuldig und verantwortlich zu fühlen vergewaltigt worden zu sein. Gerade bei Männern ist die Scham extrem gross. Als Mann passiert einem so etwas doch nicht. Als Frau fühlt man sich eh schuldig, wie die Amnesty International Studie belegt.

Wäre das Wissen um Somatic experiencing verbreiteter, würden Traumatisierte nicht Jahre mit Gesprächen verbringen. Es gibt Hoffnung auf Heilung bei Traumatisierung.